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Weitere Jahre des Friedens

© Dorfgemeinschaft
Röhrenfurth

800 Jahre Röhrenfurth (1982)
Geschichte und Geschichten eines Dorfes
Aktualisierte Ausgabe

Weitere Jahre des Friedens
 


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"Am 5.2. 1909 hatten wir eine Hochwasserflut, wie sie seit 1841 nicht dagewesen ist. Am 4. 2. trat plötzlich Tauwetter ein, der Schnee lag sehr hoch, dazu war das Erdreich unter demselben hart gefroren, so daß das Wasser nicht in dasselbe eindringen konnte. Zu dem warmen Tauwetter kam noch der Regen, so daß auch in den Wäldern und auf den südlichen Gebirgen der Schnee sehr schnell schmolz. Dadurch stieg die Fulda sehr schnell zu nie geahnter Höhe. Schon gegen Mittag trat sie über die Ufer, nachmittags gegen 4 Uhr stieg sie bereits in den Schulgarten beim alten Schulhause und schon um 5 Uhr war der ganze Schulgarten überflutet, und das Wasser floß zwischen der alten Schule und der Wirtschaft Sprenger auf die Straße. Das Wasser überflutete auch den Garten des Georg Nödel bis zur Bahn und stieg zwischen neue Schule und die Stallung des G. Nödel. Die Schulaborte, Holzställe und Schulscheune standen vollständig im Wasser, und der Schulhof war bis zur Treppe des neuen Schulhauses überflutet". So schildert Lehrer Ackermann am 8. 2. 1909 dieses Ereignis, das sich im Laufe der Jahrzehnte immer wiederholte.
Zwei Jahre später berichtet Herr Ackermann: ,,Das Jahr 1911 war das heißeste und trockenste, das wir bis jetzt erlebt haben. Wir erhielten den ganzen Sommer keinen einzigen ergiebigen Regen. Wenn dann und wann einmal einige Tropfen fielen, so waren sie bald wieder von der heißen Sommerglut aufgesogen, und es entstand eine so schreckliche Dürre, daß auf den Wiesen und im Felde alles verbrannte . . . und es entstand eine große Futternot." Von der Bahn wurden Frachtermäßigungen für Kartoffeln, Heu und Futtermittel gewährt. Kartoffeln wurden aus Holland bezogen und kosteten ,,den für solche Verhältnisse mäßigen Preis von 3,50 - 3,70 Mark pro Centner. Trotz des ungünstigen Jahres haben sich die Fleichpreise in mäßigen Grenzen gehalten. Die Schweine kosteten pro Ctr. Schlachtgewicht 60 - 65 Mark".

Betrachten wir die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg auch einmal aus der Sicht eines damals in Röhrenfurth und Schwarzenberg tätig gewesenen Seelsorgers. Er berichtet: ". . . die Berufe sind in etwa folgender Weise vertreten. Landwirte, Stellmacher, Weißbinder, Zimmerleute, Maurer, Schreiner, Eisenbahnarbeiter, Bahnwärter, Fabrikarbeiter. Die letzteren sind z. T. Weber bei Salzmann (Melsungen) oder bei Gottschalk (Cassel); Wollsortierer bei Rubensohn (Bettenhausen). Die Leute kommen z. T. jeden Abend von Cassel heim; die Wollsortierer bleiben in Bettenhausen und kommen nur Sonnabends heim . . . die Wollsortierer verdienen durchschnittlich 5 Mark pro Tag. . . . einige Leute arbeiten im Winter im Walde; viele Mädchen gehen im Frühjahr an die Pflanzenarbeit im Walde". Er beklagt, daß die Mädchen und Burschen bei der Spinnstube ohne die Aufsicht der Alten allein bleiben dürfen und daß am „strammsten" die 16 - 17jährigen dabei sind.
Er läßt uns auch teilhaben an den alten Bräuchen des Dorfes und schreibt: "Wenn die Spinnstube -zu Silvester- wissen will, welches Mädchen im kommenden Jahre freien wird, so pflegt sie entweder in der bekannten Art Blei zu gießen, oder man holt einen "Gänser" in die Stube und dreht ihn im Kreise herum. Auf welche er dann zugeht -das ist die Glückliche-. Tritt nun das Paar zur Trauung vor den Altar, so muß es so nahe zusammenstehen, daß man nicht durchgucken kann. Beim Nachhausegehen von der Kirche heißt es wieder achtgeben; wenn die Frau zuerst ins Haus springt, kriegt sie den Mann unter den Pantoffel." Er berichtet weiter, daß sich der erste Ausgang einer Wöchnerin zum Gotteshaus richtete und daß sie etwa 50 Pf. als Dankopfer auf den Altar legte, oder daß die Hebamme bei der Taufe manchmal 3 - 5 Mark "mit ins Kindlein" wickelte, "damit es ihm einst im Leben nicht an Barem fehle". Oder daß "eine Mutter beim Abendmahlsgang etwas Brot in der Hand behält, um damit daheim ihrem kleinen Kinde die Kiefer zwecks besseren Zahnens einzureiben". Auch seine Gedanken über die politische Situation vertraut er seinem Büchlein an. „Die politische Stimmung des Ortes ist aber schon berührt worden. Früher herrschte auf diesem Gebiete grenzenlose Unklarheit; aber das hat sich völlig geändert. Die Gegensätze sind klarer, schärfer geworden. Der Bund der Landwirte hat die bäuerliche Bevölkerung aufgeklärt, daß die Roten ihre Feinde sind . . . Als einmal Scheidemann eine Brandrede in Röhrenfurth hielt, zeichneten sich gerade die Schwarzenberger durch Bravo- und Pfui-Rufe aus . .. Recht sehr hat sich die Kluft zwischen Landwirten und Arbeitern verschärft durch den erbitterten Wahlkampf 1912". Das Ergebnis der Stichwahl 1912 (zum Reichstag) war: Röhrenfurth: Schröder (national-liberal) 66 Stimmen, Hüttmann (sozialistisch) 58 Stimmen. Schwarzenberg: Schröder (natlib.) 39, Hüttmann (soz.) 26 Stimmen.
"Nach der berühmten Roten-Wahl 1912 ebbten die wilden Wogen übrigens erheblich ab ..." Er war kein Freund der Sozialdemokraten, und viele seiner Sätze erinnern an das, was wir heute von Politikern aller Couleur im Bundestag und in den Landtagen hören. Eines sei trotzdem noch festgehalten "ein 6jähriger ABC-Schütze bemerkte beim Durchnehmen des Liedes "Der Kaiser ist ein lieber Mann" pp: "Aber der Kaiser ist ekkelig riche".
Er beklagte den Verfall der Sitten und der Moral; bei meinem Amtsantritt weigerte sich ein Paar, das die Trauung in Ehren erschlichen hatte, zur nachträglichen Bußabnahme, die Autoritätslosigkeit, den Materialismus, den vergiftenden Klassenhaß und er bekennt: "Aber für ein Verbrechen halte ich es, wenn nicht zugleich, und zwar als Nr. 1, die entsprechende, reichlich vorhandene Gesinnung der oberen Stände gegeißelt wird. Gott würde uns die rote Zuchtrute nicht aufbinden, wenn unser Volk sie nicht nötig hätte. Nostra culpa, nostra maxima culpa" (Unsere Schuld, unsere größte Schuld) "- -daß dieser Ton nicht fehle".

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