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Willkommen in Röhrenfurth

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Branntweinsbrenner und Wirte

© Dorfgemeinschaft
Röhrenfurth

800 Jahre Röhrenfurth (1982)
Geschichte und Geschichten eines Dorfes
Aktualisierte Ausgabe

Von den Röhrenfurther Wirten und Branntweins-Brennern

In der „Tax-Ordnung vom 30ten Juni 1645" lesen wir im Kapitel XI „Von Würthen und Gastgebern" folgendes: „Damit auch die Würthe und Gasthalter den Wandersmann mit der Zehrung nicht übermessig beschweren und übernehmen. So ordnen und wollen wir, daß der Gasthalter, wann er den Gästen vier gute Gerichte und ziemblich Bier dazu, wie das jedes Orts oder in der jegene gebrawet, neben Butter und Käse, geben und auffsetzen wird, vor eine Mahlzeit mehr nicht, dann 4. 5. oder 6. alb. nach eines jeden Orts gelegenheit und wolfeile, anrechnen und bezahlet nehme, Wolte aber sich einer besser tractiren laßen, mag er dessen mit dem Würth übereinkommen. Einem Botten, Knecht oder Diener, welchem weniger Kost auffgesetzt, sollen nur 3. oder 4. alb. zugerechnet werden". Für Futter und Stallmiete für ein Pferd durfte nicht mehr als 2 Alb. verlangt werden. Übernachtet wurde gemeinsam in großen Zimmern. „Wollten aber die Gäste besondere Stuben und Gemächer haben, so sollen sie Holtz und Liechter, so darauff gehet, besonders zahlen". Interessant ist auch der letzte Absatz des Kapitels: „Und soll der Wirth dem Gast die Rechnung jedesmahl specificiren, und nicht überhaupt rechnen", und nicht, wie es vor etwa 10 oder 15 Jahren mal in Röhrenfurth passierte, auf einer Rechnung stand: „Für eine Hochzeit. . .3.000,- Mark." Bei der Landgräfin Amelia Elisabeth wäre der Wirt wohl in „allerhöchste Ungnade" gefallen.
Im Jahre 1711 wird in Röhrenfurth Hanß Curth Range als Wirth genannt; er besaß „1 Neu Hauß, wohlgelegen", das mit einem Steuerkapital von 100 fl. (Gulden) veranschlagt war, aufgrund dessen er monatlich 5 Alb. und 1 Heller Contribution (Kriegssteuer) zu zahlen hatte. Mehr erfahren wir nicht im „Röhrenfurther Steuerstock von 1712" über die Gastwirtschaften in unserem Dorf. Ganz ausführlich berichtet jedoch der Beamte, der den Vorbericht zum Lager-, Stück-und Steuerbuch des Jahres 1744 schrieb.
Darin lesen wir: „Wirthschaften sind 3 alhier, welche über Bier und Wein Conceßionen von denen von Riedesel lösen. Über Branntweins Brennereyen und dessen Verzapfung aber Conceßionen von Allergnäd. Herrschaft lößen müßen und zwar":
1.    Johannes Nödel. Er durfte aufgrund der alle 3 Jahre von denen von Riedesel zu lösenden Konzession „Herbergieren auch Wein und Bier verzapfen". Dafür hatte er jeweils 1 Rthl. 22 Alb. und 1 Rthl. 24 Alb. Schreibegeld sowie jährlich 2 Rthl. 17 Alb. „Schenkegeld" (Schankerlaubnissteuer) zu zahlen. Für die Erlaubnis, Branntwein auszuschenken, hatte er eine Konzession vom herrschaftlichen
Rentkämmerer in Melsungen zu lösen. Er verzapfte jährlich etwa 12 Maas (24 Liter) Wein, 130 „Zobber" (104 Hektoliter) Bier und 104 Maas (208 Liter) Branntwein.
2.    Jost Reuther. Er besaß zwei Konzessionen, eine für den Bierausschank, wofür er denen von Riedesel alle drei Jahre 26 Alb. Schanksteuer sowie 1 Rthl. 24 Alb. Schreibgebühren und jährlich 1 Rthl. und 22 Alb. „Schenkegeld" zu zahlen hatte. Er verzapfte jährlich etwa 90 Zobber (72 hl) Bier, sowie 104 Maas (208 Liter) Branntwein aus seiner eigenen Brennerei. Er hatte von der allergnäd. Herrschaft eine Konzession für eine „10 Eymer (ca. 550 Liter) haltende Branntweinsblase" und brannte jährlich 9 Ohm (1440 Liter), von denen er rd. 1230 Liter en gros verkaufte.
3. Johann Jost Möller. Er verzapfte nur Bier und zwar jährlich etwa 50 Zobber (40 hl), wofür er alle drei Jahre 27 Alb. „Weinkaufsgeld" (Gebühr für den Vertragsabschluß) sowie 1 Rthl. 24 Alb. Schreibegeld und jährlich 1 Rthl. 22 Alb. Schanksteuer anxlie von Riedesel zu zahlen hatte.
Ihr Bier erhielten die drei Röhrenfurther Wirte aus der Brauerei in Guxhagen; denn nur Melsungen und Guxhagen besaßen damals das Braurecht. Die Röhrenfurther hatten zwar seit 1670 immer wieder versucht, ebenfalls Bier brauen zu dürfen, hatten sich aber gegen die Stadt Melsungen nicht durchsetzen können.
Dann war noch Johannes Bettenhausen, der nur die Konzession für eine "14 Eymer haltende Branntweinsblase" besaß und jährlich 10 bis 12 Ohm (1 Eymer = ca. 55 Liter, 1 Ohm = 160 Liter) Schnaps brannte. Von diesen 1600 bis 1900 Liter Branntwein verzapfte er etwa 110 Maas (rd. 220 Liter) einzeln, den Rest verkaufte er „Ohmweis".
„Gibt Allergnäd. Herrschaft die gewöhnlichen Conceßions und Schenkegelder", was auch bei den drei Wirten der Fall war. Die Beträge werden -vermutlich aus Unkenntnis- nicht genannt.
Wenn man bedenkt, daß nur die beiden Röhrenfurther Branntweinsbrenner insgesamt rd. 3.200 Liter Schnaps im Jahre brannten, wovon die Röhrenfurther selbst ca. 600 Liter tranken, und der Branntwein fast ausschließlich aus Brotfrucht (Korn, teilweise auch Weizen und Gerste) hergestellt wurde, ist es verständlich, daß die Landgrafen sich -besonders nach schlechten Erntejahren- bemühten, „das unmäßige, verderbliche Brandweins Saufen" einzudämmen. Zur Herstellung von 1 Ohm Branntwein waren etwa 3 1/2 Viertel Korn (rd. 10 Zentner) nötig. Bei 20 Ohm wurden so rd. 200 Zentner Brotgetreide der Ernährung entzogen. Mit Ausschreibungen, Edikten, Verordnungen und Aufrufen wurde immer wieder versucht, der „Seuche" Herr zu werden. Vergebens, weder weltliche noch kirchliche Strafandrohungen (z.B. Ausschluß vom Abendmahl oder Verweigerung eines christlichen Begräbnisses für Säufer) oder die Erhöhung der „Aczisen", der damaligen Branntweinsteuer hatten Erfolg. Der Branntwein war in den Notjahren des 30jährigen Krieges und danach zum „Tröster" geworden. Wurden die Getreidemengen für das Brennen rationiert oder der Branntwein verteuert, brannte man den Schnaps aus allen möglichen Früchten, Beeren oder Kräutern, (wie nach 1945 den Rübenschnaps). Schlecht gebrannte, methylhaltige Erzeugnisse führten zu Blindheit und anderen Krankheiten, und die im Zeitalter des Rübenschnapses gebräuchliche Floskel „Her mit dem Stoff, ein Auge riskier ich", galt wohl damals schon. Alle im Laufe der Jahrhunderte unternommenen Versuche, den Schnapskonsum einzudämmen oder die vielen Strafen, die bei den Verstößen angedroht wurden, hier, auch nur in Bruchstücken, aufzuzählen, würde den Rahmen einer Chronik sprengen. Beschränken wir uns daher auf einige Zahlen aus der Gemeinderechnung von 1829. Unter Ziffer 17 der Einnahmen ist die „Hülfssteuer von Branntwein" aufgeführt. Sie betrug insgesamt 123 Rthl. 22 Alb. 8 HL, bei Gesamteinnahmen der Gemeinde von 230 Rthl. 19 Alb. und 2 Hl. Mehr als die Hälfte der Gemeindeeinnahmen kamen von den Branntweins-Brennern, die erhebliche Mengen an Schnaps umsetzten. Es brannten: der Wirth Steube = 7 Ohm und 47 Maas, der Wirth Schomberg = 16 Ohm und 73 Maas, der Wirth Steinbach = 8 Ohm und 72 Maas und Itzig Levi 20 Maas. Insgesamt also 37 Ohm und 11 Maas oder die enorme Menge von rd. 5940 Liter. Wieviel davon durch die Röhrenfurther Kehlen floß, ist nicht überliefert; es ist aber bekannt, daß damals (vom Geldwert her gesehen) mehr Schnaps als Bier getrunken wurde, und in den meisten Häusern stand ein kleines Fäßchen von 2V2 Maas (rd. 5 Liter) für den Genuß eines "Kännchens" bereit.
Ein abgeschlossener Viehhandel mußte mit einer "Kiwweschelle" Schnaps begossen werden, auch andere Anlässe ließen sich, wenn man Durst hatte, immer finden.
Seit 1750 hatte sich der Kartoffelanbau auch bei uns eingebürgert, und findige Köpfe hatten frühzeitig entdeckt, daß sich aus der stärkehaltigen Knolle ein billigerer Schnaps brennen ließ als aus Korn oder gar Weizen. Der Schnapskonsum hatte um 1830 solche Ausmaße angenommen, daß der Kurfürst und "Volksfreunde" ernstlich erwogen, den Kartoffelanbau und damit zugleich das Branntweinbrennen zu verbieten oder einzuschränken. Aber die aus dem Branntweinkonsum fließenden Steuereinnahmen führten auch solche wohlgemeinten Vorschläge ad absurdum. (Wieviele Milliarden Mark nimmt wohl heute der Staat aus der Getränkesteuer ein?). Das Branntweinbrennen muß sich gelohnt haben. Die Röhrenfurther Brenner waren gleichzeitig Landwirte, hatten dadurch ihr eigenes Getreide und konnten auch noch die anfallende Treber an ihr Vieh verfüttern. Eine Ohm Branntwein kostete im en-gros-Verkauf 24 1/2 Thaler.
Ein Röhrenfurther Gastwirt führte um 1900 Buch über den Verzehr einiger Kunden und Gäste. „Aufgeschrieben" wurde, was im Laufe des Monats geholt oder in der Gaststube verzehrt wurde. Aus diesem „Wirtschaftsbuch" nur einige Zahlen aus dem Jahre 1901:

Heinrich . .    . . ließ aufschreiben

am   1. Juni    1/2 Seh Seh = 1/2 Schoppen Schnaps für 20 Pf
am   2. Juni    1/2 Seh Seh, 1 Seh Bier und 1 Kch (Kännchen = 1/8 Liter) zus. 50 Pf
am   3. Juni    1/2 Seh Seh 20 Pf
am   9. Juni    1 Seh Bier, 1/2 Seh Seh, 1/2 Kch 40 Pf
am 13. Juni    1/2 Seh Seh, 1 Seh Bier 30 Pf
am 14. Juni    1/2 Seh Seh 20 Pf
am 16. Juni    2 Känchen und 1/2 Kännchen 25 Pf
am 17. Juni    1 Kännchen 10 Pf
am 20. Juni    1 Keh 10 Pf
am 28. Juni    1/2 Seh Seh 20 Pf
am 29. Juni    1/2 Seh Seh 20 Pf
am 29. Juni    1 Seh Seh 40 Pf
zusammen 3,05 Mark

Einen Monat zuvor hatte er sich 2 mal etwas „Gutes" gegönnt, nämlich 2/2 Seh Seh, für 5 Pf Wecke und für 10 Pf Sardinen, insgesamt für 55 Pfennig. Das zweite Mal 1/2 Seh Seh, für 5 Pf Wecke und 1 Seh Bier für zusammen 40 Pfennig. Ein anderer Kunde, Karl .... ließ vom 18. April bis 20. Mai insgesamt S1/2 Schoppen Schnaps und IV2 Kännchen für 3 Mark und 55 Pfennig anschreiben. Justus . . . ., der viel Kundschaft in der Werkstatt hatte, ließ im April 1902 insgesamt 19 Schoppen Schnaps und 8 große Schoppen Bier holen und aufschreiben. Die Empfershäuser Waldarbeiter holten am 30. Oktober 2 Liter Schnaps und 5 Zigarren für 1,85 Mark.
Diese Sitte, daß Wirt und Kaufmann einen Monat lang aufschrieben, gab es bei uns noch bis zum zweiten Weltkrieg (Beim Kaufmann wurde alles einzeln in einem Notizheft eingetragen, und es soll vorgekommen sein, daß in diesem „Hauptbuch" auch mal radiert wurde).
Ein alter Röhrenfurther hatte seine eigene Buchführung. In seiner Uhrkapsel (eine Metallhülle mit einem durchsichtigen Deckel, in der die Taschenuhr untergebracht war) verwahrte er stets einen fein zusammengefalteten Zettel, auf dem der Wirt die verzehrten Kännchen eintrug. Eines Tages kam er aus der Gastwirtschaft, um nach Hause zu gehen. Bei der Linde blieb er stehen, zog seine Uhrkapsel aus der Westentasche, studierte lange seinen Zettel, verwahrte ihn wieder bei der Uhr, drehte sich um und ging zurück zur Wirtschaft. Die Buchführung hatte ergeben, daß er noch Durst haben durfte.
 
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Für manch einen Alten waren die Zeiten des Zweiten Weltkrieges, als es gegen Ende keinen Schnaps mehr gab, qualvoll, aber der Melsunger Apotheker hatte ein gutes Herz und half hin und wieder mal mit "Hoffmanns-Tropfen", einem mit Alkohol versetzten Kräuterdestillat gegen Magenbeschwerden aus. Nach dem Krieg, als die Aufsicht nicht mehr so streng, aber die Not am größten war, begann die Ära des aus Zuckerrüben gebrannten Schnapses. Manche brachten es zu wahren Spezialitäten, die sehr gefragt waren. Auch die „Brennblasen" wurden selbst gebastelt, vom „Einkochapparat" mit dem zugeklebten Deckel und Kupferröhrchen zum Destillieren, bis zur fachmännisch hergestellten Kleinstbrennerei war alles vertreten. Zur Deckung des Alkoholbedarfes der ersten Kirmes nach dem Krieg war monatelang nachts „gebrannt" worden, und mancher war anschließend noch tagelang sehr "krank". Zum Glück blieb es nur bei den „dicken Köpfen", was für die „Brennkünste" der Röhrenfurther spricht.
Wer Sorgen hat, hat auch Likör, sagt Wilhelm Busch. Aber es gilt genauso, daß zuviel Likör erst Sorgen macht.
Im Jahr 1744 hatte Röhrenfurth drei Gastwirtschaften, 1829 ebenfalls drei, um die Jahrhundertwende noch zwei, nach dem ersten Weltkrieg nur eine, nach dem zweiten Weltkrieg ebenfalls nur eine (Kröcher-Wiegand, dann Rudolf). Bis 1975 kamen noch vier weitere hinzu und zwar Hofmann-Siebert, W. Koch, H. u. L. Schneider (Campingplatz) W. u. I. Rose (im Hospitalsgrund). 1981 wurde die Gastwirtschaft Rudolf mit dem Saal, der Küche und der Einrichtung, von der Stadt Melsungen als „Dorfgemeinschaftshaus" für den Stadtteil Röhrenfurth gepachtet. Diese Einrichtung erfreut sich großer Beliebtheit und wird fleißig benutzt.
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