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Willkommen in Röhrenfurth

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Glashütte

© Dorfgemeinschaft
Röhrenfurth

800 Jahre Röhrenfurth (1982)
Geschichte und Geschichten eines Dorfes
Aktualisierte Ausgabe

Die mittelalterliche Glashütte im Hüttengrund

Einige ältere Röhrenfurther wissen noch aus ihrer Schulzeit, daß im Breitenbachtal, dort wo es sich am „Köpfchen" in den Hüttengrund und den Hospitalsgrund teilt, vor mehreren hundert Jahren ein Dorf mit Namen Breitenbach und eine Glashütte standen. Sie erinnern sich daran, daß ihnen die Lehrer im Heimatkunde-Unterricht an Ort und Stelle aus dem Bachbett geborgene Glasreste zeigten.
Näheres über das Schicksal des Ortes und der Glashütte ist nicht überliefert, lediglich der Standort der Hütte war noch zu ermitteln. Im Kapitel über die Wüstungen Alt- und Neu-Breitenbach ist nachzulesen, daß erst- und auch letztmalig die beiden Orte im Jahre 1269 urkundlich erwähnt wurden, und daß auch vermutet werden kann, daß die Glashütte erst den Anlaß zur Gründung des Weilers Neu-Breitenbach gab, und der Zeitpunkt der Gründung sowie des Niedergangs nicht belegbar ist.
Die Voraussetzungen für den Betrieb einer Glashütte -und wie sich aus den Grabungen ergab auch einer Töpferei- sind im Hüttengrund fast ideal zu nennen. Der Breitenbach lieferte das zum Waschen des Quarzsandes und zum Antrieb eines Wasserrades für die Betätigung eines Blasebalges erforderliche Wasser in stets ausreichender Menge. Der Quarzsand in Form von Sandstein ist in unmittelbarer Nähe und leicht abbaubar vorhanden. Das Holz zum Heizen der Schmelzöfen und zur Herstellung von Holzkohle und Pottasche für die Glasschmelze stand in den ausgedehnten Wäldern links und rechts des Hüttengrundes reichlich zur Verfügung. Auch für die Töpferei lag der Lehm am Fuße des Kohlberges praktisch "vor der Haustür", grauen Ton in reinster Form fanden die Töpfer ebenfalls in unmittelbarer Nähe, denn der Untergrund des Hüttengrundes besteht aus diesem Material. Farbiger Ton kommt, nicht weit entfernt, am"Schusterpfad" vor und selbst weißen Ton, das Kaolin zur Porzellanherstellung, findet man in der Nähe der "Knobeisplätze".

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Ein weiterer Produktionszweig war die Alaungewinnung für medizinische Zwecke. Nur wenige hundert Meter vom Standort der Hütte kommt das Rohmaterial für die Herstellung des Alauns, die Alaunerde, eine Mischung aus Tonerde und erdiger Braunkohle vor. Die alte Flurbezeichnung "Blaustein" und"Blausteinsgraben",der früher im Volksmund "Arünsgrowen" (Alaungraben) genannt wurde, deuten ebenfalls darauf hin. Auch wurden um die Jahrhundertwende und kurz nach dem Ersten Weltkrieg im Gebiet des Blausteins Probebohrungen nach Braunkohle vorgenommen, die aber kein abbauwürdiges Vorkommen ergaben.

Die Gebäude der Glashütte standen am rechten Bachufer, etwa in der Mitte des Hüttengrundes, dort wo jetzt die zweite Fichtenanpflanzung beginnt. Die genaue Größe des "Betriebes" kann nicht mehr festgestellt werden, denn äußere Spuren im Gelände sind nicht vorhanden und bestätigen die Vermutung, daß alle Gebäude abgetragen wurden; lediglich ein ringförmiges Fundament von etwa 1 Meter Durchmesser wurde freigelegt. Es liegt dicht unter der Oberfläche und besteht aus unbehauenen Stücken von Grauwacke und Sandstein. Es könnte sich um die Reste eines Schmelzofens handeln, denn in etwa 50 cm Tiefe läßt ein dünner, dunkler, waagerechter Strich von 30 cm Breite darauf schließen, daß vom Bach her in einem Holzrohr Luft zugeführt worden ist (aus einem von einem Wasserrad angetriebenen Blasebalg?).
Der Versuch einer zeitlichen Einordnung der Tätigkeit der Glashütte:
Orts- und Flurbezeichnungen deuten darauf hin, daß man in Hessen spätestens seit dem 10. Jahrhundert das Geheimnis der Glaszubereitung kannte. Das Erscheinen des Ortes "glesercella" (Gläserzell bei Fulda) in einer Urkunde von 927 und die Erwähnung des "glasebaches" im Kopiar des Stiftes Hersfeld von 1310 (u. a. Glasebach bei Spangenberg) gibt zu der naheliegenden Vermutung Anlaß, daß die Glasproduktion anfangs allein in Händen der Klöster lag, deren Hütten in erster Linie Scheiben für farbige Kirchenfenster und sakrales Gerät zu liefern hatten (Dr. Franz-Adrian Dreier in Glaskunst in Hessen-Kassel). Die Röhrenfurther Besitzungen der Ritter von Röhrenfurth waren ein Lehen des Stiftes Hersfeld, es könnte daher — mit allem Vorbehalt — vermutet werden, daß die Glashütte als Gründung des Stiftes Hersfeld beim Verkauf von Alt- und Neu-Breitenbach im Jahre 1269 bereits bestanden hat, spätestens aber vom Kloster Eppenberg, nicht lange nach dem Erwerb von Breitenbach errichtet wurde, also in der ersten oder zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Daß die Glashütte für ein Kloster oder eine Kirche gearbeitet hat, geht einwandfrei aus den geborgenen Glasscherben hervor.
Der Zeitpunkt des Niedergangs der Hütte und damit auch des Ortes Neu-Breitenbach dürfte um 1525 gelegen haben. Zu dieser Zeit entzog der Erzbischof von Mainz (Eppenberg/Karthause waren Mainzisch) den innerhalb seines Herrschaftsbereiches liegenden Glashütten die Privilegien. Außerdem wurde das Kloster Karthause 1527 landgräfliches Vorwerk, die Mönche wurden teilweise abgefunden oder konnten zum neuen Glauben übertreten und als evangelische Pfarrer tätig sein (der Priester Johann Lening zur Karthause wurde erster evangelischer Pfarrer in Melsungen und damit auch in Röhrenfurth). Daß dieses Datum in etwa zutrifft, ist auch aus der Nennung von Röhrenfurther Flurbezeichnungen im Salbuch von 1575 des Amtes Melsungen zu schließen. Dort wird unter anderen auch die Flur "Alte Glasehütte" erwähnt. Das Adjektiv „alte" deutet zweifellos darauf hin, daß die Glashütte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr bestanden hat.
Sicher ist, daß sie nicht durch kriegerische Ereignisse zerstört wurde, da keine Funde darauf schließen lassen. Das Gelände ist fast gleichmäßig mit Schwemmsand bedeckt und zeigt keine Schutthügel oder größere Mauerreste.

Die Produkte der Glashütte:
Bei den Grabungen bis etwa 1 Meter Tiefe ergab sich eine fast gleichmäßige Schichtung des Untergrundes: Etwa 20 bis 30 cm aufgeschwemmter sandiger Boden — weiter abseits des Bachlaufes mehr mit Humus durchsetzt — darunter eine 70 bis 80 cm starke Schicht aus Ton und Lehm vermischt vor allem mit viel Asche, Holzkohlestücken und darin eingebettet helle und rote Quarzsandknollen, die bei leichtem Druck zerbröckeln, sowie Knollen aus roten Backsteinresten (es besteht daher die Möglichkeit, daß in geringem Umfang auch „gebackene Steine" gebrannt wurden). In dieser „Mischung" wurden die Glas- und Keramikscherben gefunden, aber auch Fragmente von Schmelztiegeln mit darin eingeschlossenen Resten der Glasschmelze. Glasschlacke lag vorwiegend am Rande des Grabungsfeldes, so daß es sich hier wohl um die Abfallhalde der Glashütte handelt.
 Wieviel Schmelzöfen und Brennöfen in Betrieb waren, läßt sich heute nicht mehr feststellen, da das fragliche Gebiet mit Fichten ausgepflanzt ist und deshalb intensivere Nachforschungen ausschließt.

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In der Glashütte konnte man nur das sogenannte Waldglas schmelzen, das eine grünliche Grundfarbe besaß, im Gegensatz zum venezianischen, hellen Glas. Die Schmelztemperatur lag bei 1100 Grad und für eine Schmelze von ca. 30 Liter Glasmasse (ein Schmelztiegel voll) waren rund 2.1/2 Zentner trockenes Laubholz (Buche oder Eiche) nötig. Um diese hohe Temperatur zu erzeugen, mußten große Blasebälge, die in der Regel durch ein Wasserrad betrieben wurden, entsprechende Mengen Luft in die Glut unter den Schmelztiegel blasen. Die Tiegel hatten etwa 40 cm Durchmesser am Boden und erweiterten sich nach oben auf etwa 50 cm. Die Höhe betrug etwa 45 cm, die Wand- und Bodenstärke ca. 7 cm. Um sie entleeren zu können, waren die Schmelztiegel an Ketten aufgehängt. Ein solcher Tiegel konnte ca. 30 Liter Glasmasse (Quarzsand und Pottasche) fassen, von der, nachdem die Glasschlacke abgeschöpft war, rd. 20 Liter Schmelze verblieben. Die Vorbereitung der Schmelze war Aufgabe der Gläsner, von ihrer Kunst hing die Qualität und die gute Färbung des Glases wesentlich ab. Besonders wichtig war die richtige Schmelztemperatur; bei zu geringer Hitze blieb das Glas trübe und spröde, es war noch mit Sandresten durchsetzt und unbrauchbar, zuviel Hitze ließ die Schmelztiegel "überkochen" oder springen.
Die Glasbläser waren Meister ihres Fachs. Sie bliesen einfache und farbige, ein- und zweischichtige Fensterscheiben in verschiedener Dicke, fertigten hauchdünne, mit einem Hohlrand versehene, zweischichtige Glasschalen - jede Schicht nur einen 1/2 mm stark, verzierten Trinkgläser aus nur ebenfalls 1/2 mm starken Wänden mit aufgeschmolzenem Glasdraht und bliesen Trinkbecher aus dunkelgrünem Glas in Formen und vieles mehr. Die Farben variierten vom blassen hellgrün der normalen Fensterscheibe bis zum tiefen dunkelgrün eines Trinkbechers, vom karminrot bis zum opalblau der Scheibe für das Kirchenfenster, vom zarten, perlmuttschimmernden hellblau bis hin zum fast schwarz wirkenden dunkelblau.

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Die Töpfer gingen ebenso geschickt zu Werke. Vom dünnen "irdenen" Teller über Trinkgefäße, Schüsseln und Töpfe aus verschiedenen Ton- und Lehmarten bis hin zu großen, innen und außen glasierten Vorratsgefäßen stellten sie alles her, was täglich an Geschirr in der Küche benötigt wurde. Um ihren Gefäßen eine größere Festigkeit zu geben, vermischten sie den Lehm oder das Lehm-Ton-Gemisch mit größeren Mengen Quarzsand, der beim Brennen dann zu feinen Glasperlen schmolz. Auch farbig glasierte Töpfe und Teller wurden gebrannt, ebenso die Schmelztiegel für die Glasschmelze.
Die Arbeit in der Glashütte, an den Schmelz- und Brennöfen und an den in ständiger Glut gehaltenen Feuern der Glasbläser war bestimmt nicht leicht, aber noch schwerer die der Fuhrleute und Waldarbeiter, die für den nötigen Holzvorrat sorgten oder die Steinbrecher, die die Quarzsandsteine zu brechen und zu zerkleinern hatten und den Abraum zum Anfang des Hüttengrundes karren mußten -der kleine Hügel dort besteht ausschließlich aus normalen Buntsandsteinplatten-, die den Quarzsand wuschen, den Lehm und den Ton gruben und kneteten, bis er auf der Töpferscheibe verarbeitet werden konnte (unmittelbar am Rande der Fichtenanpflanzung befindet sich noch ein Tonsumpf, in dem man leicht seine Schuhe stecken lassen kann). Auch die Köhler im "Kohlberg" waren für die Hütte beschäftigt, sie lieferten die Holzkohle für das Feuer der Glasbläser und die für die Glasschmelze benötigte Pottasche; und nicht weit davon entfernt, in den Hütten von Breitenbach versahen die Frauen und die Kinder die mühsame, karge "Landwirtschaft" auf der"Breitenbachstriescher", sorgten für Vorräte und lebten trotz der geringen Entfernung zu Röhrenfurth abgeschieden im "Spittelsgrund".

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