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Willkommen in Röhrenfurth

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Die Landwirtschaft

© Dorfgemeinschaft
Röhrenfurth

800 Jahre Röhrenfurth (1982)
Geschichte und Geschichten eines Dorfes
Aktualisierte Ausgabe

Die Landwirtschaft im Wandel der Jahrhunderte
Von der Dreifelder-Wirtschaft zur Intensiv-Wirtschaft

"Dan ob es schon viel wälde giebt/so sind doch dieselben nicht ohne nutzen/ angesehen daß viel weide darinnen/und die gehöltz ein theils eichen unnd Buchen/welche wegen der mast dem lande grossen frommen schaffen", so schreibt Wilhelm Dilich in seiner"Hessische Chronica" über das Kapitel „Von den Baumgewechsen und fruchten". Er nennt die Obstbäume: "öpffel/biern/ Pflaumen/kirschen/wehrhaft und eines guten geschmacks", zählt ihre verschiedenen Sorten auf, spricht von "welsche nuß/große und kleine Stachelbiern/unnd was sonst von allerhand garten gewechs" und weiter "den ackerbau anlangendt ist derselbe köstlich und nutzbar von allerley getreidt und körn/ als rocken/weitzen/gersten/andacht/haffern/erbeiß/wicken/bonen/hirsen/ und sonst kuchenkreutern . . ./auch wechset darin ein große anzahl flachs". Diese Beschreibung trifft auch für Röhrenfurth zu, mit der Ausnahme, daß hier der Ackerbau nicht „köstlich" war, sondern sich stets in bescheidenem Rahmen hielt, denn die Böden waren -zumindest in der damaligen Zeit- nicht besonders fruchtbar.
Die Bewohner der Siedlung an der Rohr-Furt kannten nur die Viehhaltung: Rinder, Schweine und Schafe als Fleisch- und Milchlieferanten sowie Federvieh und den Anbau von Getreide, Hülsenfrüchten, Kraut und Flachs in der seit Jahrhunderten (etwa vom 6. Jahrhundert an) praktizierten Dreifelder-Wirtschaft - Winterfeld, Sommerfeld und Brache. Letztere diente der Erholung des Bodens und als Weide für Schafe und Rinder.
Ausschlaggebend für die Röhrenfurther „Landwirtschaft" war von Anfang an das Mißverhältnis zwischen Viehhaltung und Getreideanbau, das noch bis weit in das vorige Jahrhundert hinein die Ernteerträge wesentlich beeinflußte. Unsere Urahnen und noch unsere Großeltern ernährten sich überwiegend von den Feldfrüchten: Korn, Hafer und Gerste, anfänglich auch noch Buchweizen (Andacht) und den im freien Felde angebauten Hülsenfrüchten und Krautsorten -meist Weißkraut- und vom Anfang des 19. Jahrhunderts an von Kartoffeln. Erst in zweiter Linie war die Viehhaltung wichtig und hier das Schwein der Haupt-Fleischlieferant. Rinder konnten nur die Besitzer der Bauernhöfe, die Hufner, schlachten. Schafe standen als Fleisch- und Milchtiere nicht zur Verfügung, denn das Recht der Schafhaltung stand in Röhrenfurth bis 1876 allein denen von Riedesel zu. Blieben für die Kötner oder Ködder und die Tagelöhner nur die Ziegen und das Federvieh, Hühner, Enten und Gänse. In den vergangenen Jahrhunderten muß die Zahl der Ziegen nicht besonders groß gewesen sein, denn sie werden in keiner der alten Dokumente erwähnt oder man hielt sie für nicht wichtig genug. Erst etwa von 1900 ab stieg ihre Bedeutung für die menschliche Ernährung erheblich. Den Höhepunkt erreichte die Ziegenhaltung nach dem Zweiten Weltkriege in den Jahren 1950 bis 1953, heute ist sie völlig ohne Bedeutung; in unserem Dorfe gibt es keine Ziegen mehr. Das Federvieh, das meist frei umherlief, war ein ständiger Anlaß für Ärger und Streit mit den Nachbarn; und die noch um die Jahrhundertwende verhängten Polizeistrafen (1 bis 2,50 Mark) betrafen überwiegend „hutelose" Gänse und Hühner. In Röhrenfurth waren hierfür der Feldhüter und Nachtwächter Siehl und die Landgendarmen aus Melsungen zuständig. Manche, sich über Generationen erstreckende Feindschaft hatte ihren Ursprung in „hutelosen" Hühnern, die Nachbars Gartenbeete zum Staubbad benutzt hatten. Aber zurück zur Dreifelderwirtschaft: Das Winterfeld, dem die Brache des Vorjahres vorausging, wurde überwiegend mit Roggen (Korn) bestellt, in geringem Umfang auch mit Weizen und Wintersamen (Raps) und vereinzelt auch noch mit Dinkel (Buchweizen oder Spelz). Bei der Bestellung mit Korn wurde das Land 3-4 mal geackert. Sollten die abgeernteten Hülsenfruchtfelder als Winterfeld dienen, so brauchte der Acker nur 1-2 mal gepflügt zu werden, in diesem Falle wurde auch nicht gedüngt. War Klee vorher auf dem Lande, so wurde dieser nach dem letzten Schnitt als Gründünger untergeackert, wenn möglich noch mit „Schaflager" gedüngt (auf dem Acker befand sich einige Nächte lang der Schafpferch; bei uns erst nach 1876 möglich). Ausgesät wurde um Michaeli, also Ende September. Bis um 1800 wurde sogenanntes Staudenkorn gesät, wobei je Acker 1/2 Metze gesät wurde. Das Stroh geriet jedoch zu hart! In der 1. Hälfte des August wurde der Roggen geschnitten und einige Tage in Schwaden liegen gelassen, anschließend gebunden und zu großen „Hicheln" zusammengestellt (neun Garben ergaben einen ,Eichel"), nach etwa 10 Tagen eingefahren und während der Wintermonate gedroschen. Als noch mit dem Dreschflegel gedroschen wurde, bildeten drei, höchstens vier Männer ein „Team"; aus der Tenne klang dann das Klappern der Dreschflegel im Dreiviertel- oder Viervierteltakt. Dieser Rhythmus mußte gekonnt sein, damit es keinen „Flegelsalat" gab. Den Weizen säte man -soweit möglich- mitten zwischen die Kornfelder, nicht zu dicht an Hecken, um ihn vor Wildfraß und der Spatzenplage zu schützen. Dieses damals hochwertige Getreide brauchte fetten Lehmboden mit etwas Sand durchsetzt, in unserer Feldflur nur südöstlich des Steinwaldes (Steinwelle) und zu beiden Seiten der alten Empfershäuser Straße (Augustländer und Grundäcker). Bei Wintersamen (Raps) wurde das Land viermal geackert, und zwar Mitte Mai, Juni (zuvor war mit 8 Fuder Mist je Acker gedüngt worden), Juli und kurz vor der Aussaat um Bartholomäi (24. Aug.).
Anfang Juli war der Raps reif zum Schneiden, d.h., die Samenschoten waren noch grünlich. Den Samen legte man ebenfalls in Schwaden auf dem Acker aus, wo er nachreifte, um dann eingefahren zu werden. Ausgesät worden waren 1/2 Metze je Acker, bei guter Ernte konnte man mit etwa 2 Viertel (32 Metze) Ertrag rechnen.
Das Sommerfeld: Ihm ging das Winterfeld voraus, wurde mit Gerste und Hafer, seltener mit Bohnen oder auch noch mit Hirse bestellt. Für Gerste ackerte man 3-4 mal, für Hafer nur zweimal. Hafer wurde nur auf den schlechten (mageren) Böden gesät, man erntete zwar nur das 1 1/2 bis vierfache der Aussaatmenge, konnte aber wenigstens auch diese Böden nutzen, die sonst nur zur Hute getaugt hätten. Je nach der Aussaat im Frühjahr unterschied man "Winter"-Hafer oder "Sommer"-Hafer. Den Winterhafer brachte man Mitte März in die Erde, den Sommerhafer vier Wochen später. Die Gerste und auch der Hafer wurden nach dem Schnitt zunächst auf dem Acker ausgebreitet bevor sie zu Garben gebunden „eingefahren" werden konnten. Hin und wieder bestellten die Bauern das Sommerfeld auch mit Sommerkorn oder Sommerweizen. Fünf Metze Aussaat brachten etwa 20 Metze, also das 4-fache als Ernte. Feldbohnen brauchten feuchtes und schweres Land, wurden auf dem zweimal gepflügten, ungedüngten Boden Mitte März mit 7 Metze je Acker ausgelegt und Mitte September gerupft, ca. 14 Tage in Gebunden aufgestellt und, wenn die Bohnen vollständig trocken waren, heimgefahren. Die Ernte betrug etwa 24 Metze. Hirse brauchte trockenes, lockeres Land. Anfang Mai erfolgte die Aussaat, 1/2 Metze je Acker. Ab Ende September wurde die reife Hirse herausgeschnitten, dann die übrige, und in Säcken oder Tüchern nach Hause gebracht. Die Ernte war 32-fach, sie ergab etwa 1 Viertel. Eine trotz des guten Ertrages recht mühsame Erntemethode!
Das Brachfeld folgte dem Sommerfeld des Vorjahres und diente ursprünglich ausschließlich der Erholung des Bodens und zur Viehweide, nahm aber im Laufe der Jahrhunderte dann die Hülsenfrüchte, den Flachs und das Kraut auf. Ein großer Teil Land blieb trotzdem noch brach liegen. Als sich dann die Kartoffel und der Klee einbürgerten, verschwand die Brache mehr und mehr und ist heute bei der Spezialisierung, die auch vor der Landwirtschaft nicht halt machte, völlig verschwunden.
Der Anbau der Kartoffel — etwa von der Mitte des 18. Jahrhunderts an — verhinderte manchen „Engpaß" in der Ernährung der Menschen und eine Getreide-Mißernte wurde durch die Kartoffel gemildert.
„Kartoffeln, Kraut und Samen müssen sehr gut gedüngt sein, Flachs und Bohnen mittelmäßig, Erbsen, Wicken und Linsen schwach". Mit dieser Aufzählung sind auch schon alle „Ackerfrüchte" genannt, die ins Brachland gesetzt, gepflanzt, gelegt oder gesät wurden. Das Kartoffelland, meist das „Stoppelland" des Vorjahres, wurde im Herbst vor dem „Schälen" (nicht zu tiefer Umbruch des Stoppelfeldes) gedüngt oder der Mist im Frühjahr vor dem Pflanzen der Kartoffeln mit „eingeackert". Die Ernte erbrachte etwa das 15-fache und war die ertragreichste. Die Kartoffel wollte nicht zu nasses, lockeres Land. Der Anbau von Hülsenfrüchten wird heute nur noch von spezialisierten Landwirten aufgrund von Verträgen mit den Konservenfabriken betrieben (Erbsen und Bohnen), dasselbe gilt für den Anbau von Kraut. Bohnen und Kraut für den eigenen Bedarf pflanzte man an den Rand des Kartoffelfeldes, um auch noch die letzte Furche ausnutzen zu können oder dort wo ein Kartoffelstock fehlte, dasselbe galt für die Kohlrüben, die mit Schweinefüßchen, Schweineohren oder der Schweineschnauze gekocht, einen vorzüglichen Eintopf ergaben. Der Flachs ist ebenfalls von unseren Feldern verschwunden, Kartoffeln werden immer weniger angepflanzt, ebenfalls die Runkelrübe (Dickwurzel), der Anbau von Hackfrüchten ist zu arbeitsaufwendig, es sei denn sie bringen wie die Zuckerrüben reichlichen finanziellen Ertrag.

Die Intensiv-Wirtschaft:
Die landwirtschaftlichen Verfahren und Anbauweisen, die Züchtung besserer und ertragreicher Arten von Feldfrüchten und Tieren, die immer noch zunehmende Mechanisierung, der Einsatz von Kunstdünger verschiedenster Art und der Agrarchemie zur Bekämpfung von „Schädlingen" und „Unkräutern" hat die Landwirtschaft in den vergangenen 50 bis 100 Jahren mehr verändert als 1000 und mehr Jahre zuvor. Hagelschlag, Mißernten oder Tierseuchen können zwar den einzelnen Landwirt finanziell schädigen, die Menschen in den Dörfern und Städten aber nicht mehr ängstigen oder gar dem Hunger preisgeben. Statt dessen nimmt eine „andere Angst" zu. Die Angst vor den Gefahren, die die ständige Anwendung von Pestiziden und Herbiziden, die Überdüngung der Böden, die Anwendung von Hormonen und Antibiotika in der Tierhaltung und die Zunahme der Monokulturen heraufbeschwören. Überproduktionen landwirtschaftlicher Erzeugnisse aller Art (nicht nur Milch und Butter) schaffen kaum noch lösbare finanzielle Probleme innerhalb der Europäischen Gemeinschaft.
Ob diese „Industrialisierung" der Landwirtschaft wünschenswert ist, dies zu beurteilen muß jedem Einzelnen überlassen bleiben.

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